Hintergrund
Perfekte Charaktere: Was ist eine Mary Sue?
von Luca Fontana
«She-Hulk», Marvels neue Superheldin, ist weder clever, lustig noch spannend. «She-Hulk» ist einfach nur peinlich. Das war’s: Nach nur drei Episoden gebe ich auf.
Das ist ein Review mit Spoilern zu den ersten drei Episoden. Schau sie dir also zuerst an, bevor du weiterliest. Oder… eben nicht.
She-Hulk twerkt. Sowas muss ich mir nicht geben. Nach nur drei Episoden breche ich darum ab. Was auch immer Marvel sich dabei gedacht hat – ohne mich. Dabei wollte ich die Serie mögen. Wirklich. Ich will alles, was Marvel produziert, mögen. Ich liebe Superheldinnen und Superhelden. Ich vergöttere die Comics. Ich mag fast alle Filme. Und selbst durchschnittlichen Serien wie «Hawkeye» oder «Ms. Marvel» gewinne ich stets was Positives ab.
Aber «She-Hulk» ist ein verdammter Schlag in meine Fan-Fresse.
Geschrieben und entwickelt wurde die Serie von der amerikanischen Autorin und Produzentin Jessica Gao. Was sie wohl als ultra-cleveren und zynischen Kommentar auf die Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft gemeint hat, ist zu einer plumpen Moralpredigt verkommen, die ironischerweise selbst überhaupt keinen Respekt vor ihrer eigenen Hauptfigur hat. Warum sollte ich sie dann ernst nehmen? Mir blutet das Herz. So viel Schwachsinn ertrage selbst ich als Marvel-Fanboy nicht.
Von vorn: Jennifer Walters (Tatiana Maslany) ist nicht nur Anwältin, sondern auch Bruce Banners (Mark Ruffalo) Cousine. Als sich nach einem Autounfall versehentlich Bruces und Jennifers Blut vermischt, verwandelt sich auch Jennifer in ein grosses, grünes Monster – in den She-Hulk. Ihr Leben als normale Anwältin ist nun vorbei. Als She-Hulk wird sie nämlich das neue Gesicht der Abteilung für übermenschliche Rechte.
Schon die ersten Trailer lösten bei mir ein mulmiges Gefühl aus. Nicht mal wegen der Story. Dass «She-Hulk» eher auf lustig machen und sich selber nicht ganz ernst nehmen würde, wie die Trailer suggerierten, kennen wir schon von «Deadpool». Es waren eher die miesen Computer-Effekte, die mich eine kolossale Enttäuschung haben befürchten lassen. Dabei waren die – in den ersten beiden Episoden – gar nicht so schlecht.
Dafür alles andere.
Wo liegt das Problem? Zunächst in Jennifers buchstäblicher Überlegenheit, die nie erklärt wird. Wir erinnern uns: In «Endgame» verletzt Bruce Banner seinen Arm im Kampf gegen Thanos so schwer, dass er selbst mit Hulks Selbstheilungs-Fähigkeiten nicht heilt. Dann verwandelt sich seine Cousine. Mit ihrer «She-Hulk»-DNA gelingt es ihm prompt, seinen Arm komplett zu reparieren.
«Weil ich besser bin», stellt Jennifer fest.
«Einigen wir uns auf anders», antwortet Bruce.
«Also besser anders», Jennifers schnippische Antwort.
Noch ist das kein Grund, gleich die ganze Serie zu hassen. Eine Erklärung, warum Jennifers DNA «besser» ist, wäre trotzdem nett gewesen. Na ja. Nächste Szene. Wir erfahren, dass Bruce sie zu seinem Geheimversteck irgendwo an einem paradiesischen Strand in Mexiko gebracht hat. Hier hat er zwischen «Infinity War» und «Endgame» eine kontrollierbare Hulk-Erscheinungsform entwickelt – Smart Hulk, eine Mischung aus Bruce und Hulk. Denn wissend, wie gefährlich und zerstörerisch sein Alter Ego ist, hofft er, seiner Cousine an eben diesem Ort auf dieselbe Weise helfen zu können. Mehr noch: Er will sie zur Superheldin trainieren. Nur hält Jennifer nichts von dieser Idee. Denn alles, was sie will, ist ein ganz normales, anonymes Leben.
Warum?
Warum will Bruce aus Jennifer unbedingt eine Superheldin machen? Warum will Jennifer keine sein? Keine Ahnung. Der künstlich konstruierte Konflikt existiert eh nicht, um mehr über das Innenleben der Figuren zu erfahren. Ein Beispiel: Luke Skywalker begehrt in «Star Wars» gegen den Willen Owens auf, weil er nicht noch eine weitere Saison als Feuchtfarmer auf Tatooine verbringen will, statt endlich die Flieger-Akademie besuchen zu dürfen. Wir erfahren dadurch, dass Luke von grossen Abenteuern fern von seiner öden Heimat träumt. Träume, die unerfüllt bleiben – bis das Schicksal zuschlägt. Gao hingegen konstruiert ihren Konflikt, um aus Bruce einfach nur einer dieser weiteren Männer in Jennifers Leben zu machen, die auf das pfeifen, was sie will, und die stattdessen meinen, ihr sagen zu müssen, was sie zu tun hätte.
Jennifer willigt letztlich doch noch ein. Und – Überraschung! – sie ist Bruce Banner in so ziemlich allen «Hulk-Disziplinen» auf Anhieb überlegen. Weil… Gründe. Bessere DNA und so. Gaos Script macht sich immer noch keine Mühe, diese Superiorität schlüssig zu erklären. Stattdessen lässt sie Bruce so reagieren, wie es alle Männer laut Gao tun: sie werden eifersüchtig.
Ich verstehe, was Gao’s Drehbuch beabsichtigen will: Schaut, Männer, so geht es uns Frauen, wenn wir Stärke zeigen – wir werden kleingehalten. Nun, das ist ein reales Problem. Es anzusprechen, ist wichtig und gut. Nur konstruiert Gao für diese Aussage eine Situation, in der sich Bruce Banner nicht so verhält, wie wir’s aus 15 Jahren MCU kennen. Stattdessen tritt sie seine Charakterisierung mit Füssen. Das geht besser. Das muss besser gehen.
Gao begeht bei all dem einen weiteren Fehler. Sie nimmt ihrer eigenen Hauptfigur die Chance, sich weiterzuentwickeln. Sich überhaupt zu entwickeln. Ihre Überlegenheit ist ständig gegeben. Sogar Jennifers Freundin bekommt kaum andere Sätze als «du bist die Beste, du bist die Tollste, du bist die Grösste» in den Mund gelegt. Jennifer ist von Anfang an perfekt. Das ist nicht nur langweilig. Das ist unsympathisch. Darüber habe ich auch schon geschrieben:
Ein Gegenbeispiel: Tony Stark aus dem ersten «Iron Man»-Film ist cool und hat immer den perfekten Spruch auf Lager. Tony ist aber auch ein narzisstisches Arschloch. Eine Schwäche, die er überwinden muss, bevor er selbstlos sein Leben für andere riskiert. Und fast zwei Drittel des Filmes verbringt er damit, unter lauter Fehlschlägen seinen Anzug zu konstruieren und damit umgehen zu lernen.
Jennifer hingegen hat keine Lernkurve. Keine Entwicklung. Stattdessen hat sie die Goldmedaille schon gewonnen, bevor das Rennen überhaupt begonnen hat. Sie protzt sogar mit ihrer Überlegenheit. Reibt es Bruce förmlich unter die Nase. Das hat nichts mit Empowerment zu tun. Schon gar nicht, wenn besagte Stärke einfach gegeben ist und nicht erarbeitet oder verdient wird – geschweige denn erklärt. Das ist schlichtweg «lazy Screenwriting» – faules Schreiben.
Den Vogel schiesst aber eine der wenigen ernsten Szenen in «She-Hulk» ab. Bruce versucht darin, ein letztes Mal eindringlich auf Jennifer einzureden und ihr klarzumachen, wie wichtig es für sie beide ist, Aggressionen zu kontrollieren. Denn werden sie wütend, könnte das den Hulk in ihnen hervorbringen. Und der ist nun mal eine ernste Gefahr.
Jennifer dann zu Bruce:
Rums. Das sitzt. Oder sollte es. Nur richtet sich Jennifers Ansage an die völlig falsche Person.
Erstens ist es Jennifer selbst, die Bruce, der seit 15 Jahren Hulk ist, die ganze erste Episode lang sein Fachgebiet erklärt – nicht umgekehrt. Zweitens wird unter normalen Umständen – Hass-Verbrechen und Femizide sind schlimm, aber keine normalen Umstände – keine Frau «buchstäblich umgebracht», nur weil sie ihre Meinung äussert. Nicht in unserer Gesellschaft. Bei allen Problemen – Gao schiesst hier weit übers Ziel hinaus. Und drittens stehen Anmachsprüche und bevormundende Männer nicht ansatzweise im gleichen Verhältnis, wie von der Gesellschaft als Monster geächtet und von der eigenen Regierung gejagt zu werden, wie es Bruce passiert ist. Das ging sogar so weit, dass Bruce in seinem Elend versuchte, Selbstmord zu begehen. Aber die Kugel, die er sich in den Kopf jagte, spuckte «der andere», der Hulk, einfach wieder aus… She-Hulk hingegen wird von der Gesellschaft sofort geliebt und gefeiert.
Wenn ich mir also in etwas sicher bin, dann darin, dass Jennifer ihre Wut nicht «unendlich viel» öfter kontrollieren muss als Bruce.
Nochmals: Ich kapiere, was Gao beabsichtigt. Aber bei so viel Stupidität verpufft die gut gemeinte Wirkung des eigentlich starken Monologs. Denn Gao hat offenbar keine Ahnung von der Vorgeschichte ihrer wichtigsten Figuren. Nicht mal genug Respekt, das kleine bisschen Recherche zu betreiben, um die Szene so zu bringen, dass es keine Standpauke an jenen Menschen ist, der sie am wenigsten von allen verdient. Bruce wurde als Monster diskriminiert. Jennifer als Frau. Das müsste die beiden Figuren näher bringen. Zusammenschweissen. Nicht auseinandertreiben. Ausser, du verdrehst und ignorierst 15 Jahre MCU.
Wie gesagt: Das geht besser.
Das Schlimmste? Alle obigen Beispiele stammen ausschliesslich aus der ersten Episode. Die aufgetakelten Damen in der Bar, die die verwirrte und vom Autounfall gezeichnete Jennifer auf der Damentoilette finden und ohne einmal nachzufragen sofort auf häusliche Gewalt schliessen, habe ich noch nicht mal erwähnt. Aber genau das ist das Männerbild, das Autorin Gao in dieser Show zeichnet und zelebriert.
Leider finden sich männliche Sympathieträger auch nach drei Episoden keine. Ihre Arbeitskollegen sind allesamt arrogante, toxische, sexistische und widerliche Arschlöcher. Ihr Boss schert sich einen Dreck um sie. Blonsky, ihr erster Mandant und der Bösewicht aus «The Incredible Hulk», schwört auf Läuterung und treibt’s mit acht Frauen gleichzeitig. Wong stellt sich entweder dumm oder muss von einem Skrull imitiert worden sein, ähnlich wie Nick Fury damals in «Spider-Man: Far From Home». Selbst Cousin Bruce will sie nur bevormunden.
Dazu kommt, dass sich «She-Hulk» zunehmend in ein anderes erzählerisches Problem manövriert: Wie soll Jennifer Walters stark, selbstbewusst und clever wirken, wenn sich alle anderen Männer im Raum wie eine Horde pubertierender Studenten benehmen? Jennifer fehlt es an würdigen Gradmessern, die es wirklich mit ihr aufnehmen können. Gao schert sich nicht darum. Schlimmer: Sie macht sich über sie lustig. Etwa, wenn sich Jennifers einstiger Arbeitskollege, der bestimmt kein charismatischer Chris Hemsworth ist, trotzdem anmasst, sich einzubilden, dass er bei der amerikanischen Rapperin und Superstar Megan Thee Stallion eine reelle Chance haben könnte. So ticken Männer halt, so der Subtext. Sie überschätzen sich masslos. Immer. Sex-Kanonen wie She-Hulk und Megan Thee Stallion haben dafür nur ein müdes Lächeln übrig – und die Zuschauenden sollen darüber mitlachen.
Wer ist hier nun oberflächlich?
Mir zumindest bleibt das Lachen bei so einem infantilen Story-Mist im Hals stecken. Stattdessen staune ich immer wieder über die Ironie, dass sich Gaos Schreibe oft genau derselben Dinge schuldig macht, die sie an der Männerwelt anprangert. Spätestens dann, wenn die ständig nach Respekt und Anerkennung ringende Jennifer an ihrem Arbeitsplatz zusammen mit Megan Thee Stallion twerkt – inklusive Grossaufnahme ihres Allerwertesten. Das hat übrigens nichts damit zu tun, dass Jennifer eine Frau ist. Erinnerst du dich noch an die peinliche Tanzszene des Tobey Maguire in «Spider-Man 3»? Gleiche Vibes. Gleicher Mist.
Ich bin raus.
«She-Hulk» ist nach drei Episoden weder lustig noch spannend. «She-Hulk» ist peinlich. Die Charaktere verhalten sich wie Idioten. Die Story ist schlecht geschrieben. Dinge passieren ohne triftige Gründe. Und aus einst tragischen Charakteren werden Witzfiguren. Überhaupt scheint die Serie Männer aus tiefster Seele zu hassen. So sehr sogar, dass ich mich frage, warum ich mir etwas anschauen soll, das offenbar so wenig von mir und meinem Geschlecht hält.
Alternativen? Die gibt es. Etwa Ridley Scotts Mittelalter-Drama The Last Duel. Grosses Kino, wie ich schon in meiner Kritik schrieb. Oder «The Good Wife», wie «She-Hulk» ebenfalls eine Anwalts-Serie mit weiblicher Hauptfigur. Der Unterschied: Nicht alle Männer sind Arschlöcher. Und schon gar nicht dumm. Wenn sich Hauptfigur Alicia Florrick durchsetzt, dann fühlt sich das auch wie ein echter Triumph an. Explizit um #MeToo geht’s in «The Morning Show». Und lass mich das als Mann sagen: Die Serie geht unter die Haut und hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet…
Ganz ohne twerkende Frauen.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»